Porträts

22 Starke Frauen mit, nach und trotz Krebs

Mein Gefühl ist mein Kompass

Februar 2001 – was war los mit mir? Ich war extrem müde, völlig erschöpft, kraftlos, nicht mehr arbeitsfähig. Bei einer turnusgemäßen Vorsorgeuntersuchung stellte sich heraus: Tumor am Eierstock. In mir saß also der „Übeltäter“, der mir all meine Kräfte raubte. Trotzdem war mein erster Gedanke, Tumore können auch gutartig sein.

Während meines Klinikaufenthalts bekam ich die genaue Diagnose: Metastasierendes Ovarial-Karzinom Stadium III – kindskopfgroß mit Infiltration der Nachbarorgane.

Die Tragweite dieses Befundes kam bei mir nicht an. Der radikalen OP folgten sechs Zyklen Chemotherapie, deren Wirkung ich schwer aushalten konnte. Ich wollte abbrechen. Während dieser für mich qualvollen Zeit las ich viele Biografien von Menschen, die ihren Weg aus der Krankheit für sich gefunden hatten. Oft las ich die Worte „kämpfen“, „Kampf verloren“ oder „Kampf gewonnen“. Mit „Kampf“ konnte ich mich nicht arrangieren, klang mir zu sehr nach Krieg. Ich bat meinen Krebs, nicht mehr in mir zu wüten, sondern sich mit mir zu versöhnen. Ich schrieb sehr viel auf, beantwortete Post und weinte viel, wenn liebevoll gemalte Bilder mit guten Wünschen von meinen Grundschülern eintrafen und sie schrieben, dass sie mich vermissten.

Trotz großer Unterstützung von Familie und Freunden entschloss ich mich zu einer Gesprächstherapie, lernte die „Frauenselbsthilfe nach Krebs“ kennen, die mir im wahrsten Sinne des Wortes wieder auf die Sprünge half. Der erste zaghafte Versuch von Gymnastik in dieser Gruppe, die mich vorbehaltlos empfing, wurde zu meiner „Sternstunde“. Sport war immer meine Stärke. Es folgte der Wiedereinstieg in meine Yogagruppe, die Neuentdeckung von DanseVita – Tanz des Lebens – mit berührenden Begegnungen von ganz fremden Menschen. Ausgiebige Spaziergänge am Main, meinem „Lebensfluss“ und Aufenthalte am Meer mit meinem Mann stärkten mich zusehends. Ich wollte keine Reha – mein Leitsatz hieß: Heilung durch Bewegung!

2005 meldete sich der Krebs wieder – ein Rezidiv in Kreuzbeinnähe, wieder am Darm angedockt. Nach erneuter schwerer OP mit endständigem Stoma (künstlicher Darmausgang), sollte ich wieder Chemotherapie bekommen. Nach der ersten Chemo entschied ich, egal wie es ausgeht, keine weitere Chemo mehr. Alle aufgelisteten Gründe, warum ich diese Tortur nicht mehr wollte, trug ich meinem vertrauten Operateur vor. Er akzeptierte meine Entscheidung – was für eine Befreiung!

Ab jetzt war „ich“ der wichtigste Mensch für mich. Ich wollte leben, Zeit mit meinem Mann verbringen, meine Mutter im Alter versorgen. Mein ungestillter Lebenshunger trieb mich Schritt für Schritt zurück ins Leben. Vom Beruf hatte ich mich mittlerweile verabschiedet. Als Lehrerin braucht man viel Kraft, die ich nicht mehr hatte.

Was kann ich rückblickend festhalten? Meine Wahrnehmung hat sich verändert. Ich sehe viel genauer hin, rieche und schmecke noch intensiver, höre auf meine „innere Stimme“, achte auf mein Bauchgefühl und gehe achtsamer mit mir und anderen Menschen um. Lange wusste ich nicht, dass ich nur eine 15%ige Heilungschance hatte. Das erzählte mir mein Arzt erst viel später. Heute, mit 70, bin ich dankbar für so viele wundervolle Lebensjahre.

Starke Frauen nach, mit und trotz Krebs: