Porträts

22 Starke Frauen mit, nach und trotz Krebs

Der Krebs hat mein Leben reicher gemacht

Mit 56 Jahren bekam ich meine Diagnose: Gebärmutterkrebs. Mein Vater war gerade gestorben und seit drei Monaten quälte ich mich mit starken Unterleibsschmerzen. Mein Frauenarzt war überzeugt, dass es sich um Verwachsungen im Bauchraum handeln müsse. Eine Laparoskopie mit anschließender feingeweblicher Untersuchung der Gebärmutterschleimhaut brachte dann Gewissheit. Ab da ging alles ganz schnell: Weitere Untersuchungen und fünf Tage später die Hysterektomie mit Entfernung der Eierstöcke und zahlreicher Lymphknoten. In dieser ersten Zeit meiner Erkrankung fühlte ich mich mehr oder weniger paralysiert. Ich war in Schockstarre und vergleichsweise gefühllos. Schnell mischte sich auch Demut und Dankbarkeit in meine Gefühlswelt. Wie immer in kritischen Situationen meines Lebens fing ich sofort an, Tagebuch zu schreiben. Ich hielt die kleinen Ereignisse meines Klinikalltags fest und ließ meinen Gedanken freien Lauf. Vor die Endlichkeit meines Lebens gestellt, wurde mir sehr schnell klar, dass ich mein Leben entscheidend ändern wollte. Irgendetwas musste doch noch passieren. So kam ich zu meiner To-Do-Liste. Ehrlich gesagt waren es keine weltbewegenden, großen Veränderungen, die ich mir vorstellte. Ich war dankbar für mein Leben und nahm mir vor, mich den Menschen mehr zu öffnen, meine Ängste anzugehen, mich um meine nächsten Angehörigen zu kümmern, mich sozial zu engagieren, aber mir auch schöne Erlebnisse zu gönnen und mich sportlich fit zu halten.

Einiges aus meiner Liste habe ich umgesetzt, anderes ist wieder in Vergessenheit geraten. Was war wichtig an diesen Vorsätzen? Ich setzte mir Ziele, ich konnte auch in dieser Situation etwas tun und war nicht ohnmächtig der Krankheit ausgeliefert. Und mir war klar, dass nur ich allein die Verantwortung für meine Gesundheit übernehmen konnte und dass ich stille Kraftreserven in mir hatte, die ich aktivieren konnte. Natürlich hat sich diese Zuversicht und Kraft nicht dauerhaft gehalten. Die nächsten Monate waren geprägt von den Anstrengungen der Chemotherapie. Ich habe viel geweint, morgens wenn ich aufwachte, war mein erster Gedanke: Ich habe Krebs. Was mir half, waren meine Meditationen, zu denen ich mich einfach auf den Boden legte und mir meine eigenen Kraftsätze ausdachte, wie: Du bist stark, du ruhst in dir. Auch halfen mir eine Psychoanalyse und meine Selbsthilfegruppe, wo ich mich sofort aufgenommen fühlte. Heute - 7 Jahre nach der Diagnose - würde ich sagen, der Krebs hat mein Leben reicher gemacht. Noch immer ist die Angst vor einem Rückfall tief in mir verankert, jede Nachsorgeuntersuchung macht mich nervös. Doch ich male, kümmere mich um meine alte Mutter, die Schwiegereltern, treibe Sport und bin seit einiger Zeit in das Leitungsteam unserer Selbsthilfegruppe gewählt worden. Früher habe ich oft aus Angst „Nein“ gesagt, mich zurückgezogen. Jetzt ist die Zeit des Jasagens gekommen, Jasagen zum Leben auch Jasagen zum Tod, wenn er denn kommt.

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